Leonie Altorfers Votum zur Petition "Überlebende statt Täterschaft schützen"

17.02.2025 - Maxim Mäder

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Herren Regierungsräte

geschätzte Anwesende

Auch ich möchte auf die Antwort der Justizkommission zur Petition ,Überlebende statt Täterschaft schützen‘ eingehen.

Es ist gut und wichtig, dass wir nun wissen, wo es im Umgang mit sexualisierter Gewalt im Kanton Schaffhausen noch Lücken gibt. Vielen Dank für die Antworten auf die Fragen der Petition.

Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Nachfragen zu stellen und gewisse Punkte hervorzuheben.

Erstens: Die Justizkommission hat die Aufsichtsbehörde über das Anwaltswesen angehört und für die Kommission besteht zum jetzigen Zeitpunkt kein Handlungsbedarf. Mir ist bewusst, dass für alle Personen die Unschuldsvermutung gilt. Dennoch muss uns klar sein, dass das gewählte Vorgehen und die Dauer des Verfahrens das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz erheblich belastet. Ich bin der Meinung, dass hier Transparenz angezeigt ist, warum dieses Verfahren so lange dauert und warum der beschuldigte Anwalt weiterhin geltendes Recht vertreten darf. Als Bürgerin und auch als Ratsmitglied, das nicht Teil der Justizkomission ist, kann ich nicht nachvollziehen, wie man zu den entsprechenden Schlüssen kommt.

Bezüglich Transparenz: Im Bericht ist die Rede von Fragen, welche die Justizkomission und die Geschäftsprüfungskomission gestellt haben, weil die nicht Teil des Gutachten von Professor Donatsch waren. Wann werden diese zusätzlichen Fragen und Antworten veröffentlicht?

Zweitens: Im Bericht ist mehrfach die Rede von Ressourcenmangel. So wird dieser Grund genannt, warum die Istanbul-Konvention nicht gemäss Zeitplan umgesetzt werden kann. Weil es die Justizkommission nicht transparent aufweist, erinnere ich Sie gerne daran, wer diesen Ressourcenmangel zu verantworten hat: Es ist der Kantons- und Regierungsrat. Es ist unsere Kompetenz und auch unsere Verantwortung diese Ressourcen, insbesondere durch mehr Stellenprozente bei der Fachstelle Gleichstellung, Gewaltprävention und Gewaltschutz, zu sprechen. Nehmen wir diese Verantwortung ernst. Als Kantonsrat können wir beispielsweise unseren Teil zur Gewaltprävention beitragen, in dem wir Geld sprechen für die Stelle ,Konflikt.Gewalt’, welche mit Täter*innen arbeitet. Die Beratung und Therapierung von Gewaltausübenden ist ein wichtiger Bestandteil von Gewaltprävention. Dies wird übrigens von der Justizkomission mit keinem Wort erwähnt. Schade, dass dieser wichtige Teil unerwähnt bleibt.

Drittens: Aktuell wird psychosoziale Beratung nur zu Büroöffnungszeiten angeboten. Das wird der Realität überhaupt nicht gerecht: Sexualisierte Gewalt wird zu jeder Tages- und Nachtzeit verübt!

Die Betroffenen haben in diesem Moment jede Unterstützung verdient. Die Justizkommission verweist auf die nationale Notnummer, die im November 2025 aufgeschaltet sein sollte. Ursprünglich war der Plan, dass sie bereits Anfang dieses Jahres verfügbar ist.

Eine Hotline anrufen ist aber nicht dasselbe wie eine Beratung in persona. Prüfenswert wäre auch eine Onlineberatung, wie es beispielsweise im Kanton Zürich möglich ist.

Viertens: Im Abschnitt Berner Modell erfahren wir insbesondere über die Situation am Kantonsspital Neues. In der Interpellations-Antwort vom 11. Juni wurde zum ersten Mal öffentlich gemacht, dass ein wichtiger Bestandteil des Berner Modells auch in Schaffhausen bereits möglich ist: Die forensische Spurensicherung ohne Anzeigepflicht.

Die Spuren werden ein Jahr lang aufbewahrt. Das ist deutlich zu kurz, was erfreulicherweise auch so in der Antwort der Justizkommission vermerkt ist. Die Spuren müssen sich an den Verjährungsfristen der mutmasslichen Delikte orientieren und eine Mindestdauer von beispielsweise 5 Jahren muss festgehalten werden. Zudem gibt es hier nun eine Aussage, der im selben Dokument, aber auch in der Interpellationsantwort widersprochen wird, und ich bitte um Beantwortung dieser Frage: Ist die Spurensicherung nun zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar?

Denn auf der nächsten Seite, Seite 8, wird festgehalten, dass Forensic Nurses, die für Spurensicherungen ausgebildet werden, nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit anwesend sein werden. Ich finde es sehr schade, dass man hier schon vorgreift, denn Stand jetzt arbeitet noch keine einzige Forensic Nurse am Kantonsspital. Da die Weiterbildung aber unterstützt wird, möchte ich fragen, ob und wie viele Personen denn diese Weiterbildung aktuell absolvieren. Falls diese Weiterbildung niemand oder nur sehr wenige Personen in Angriff nehmen, frage ich, welche Schritte die Regierung plant, um diese Weiterbildung zu attraktivieren und ab wann Forensic Nurses am Kantonsspital arbeiten werden.

Im Bericht wird weiter festgehalten, dass wenn Kinder von häuslicher und/ oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, dass dann mit der Polizei und der KESB zusammengearbeitet wird. Das ist der einzige Satz, wo von Kindern die Rede ist. Das ist unzureichend und auch nicht weiter aufschlussreich. Kinder und Jugendliche sind eine besonders vulnerable Gruppe und sexualisierte Übergriffe haben traumatische Folgen für das ganze Leben.

Dem Tätigkeitsbericht der Fachstelle Gleichstellung, Gewaltprävention und Gewaltschutz aus dem Jahr 2023 konnte ich entnehmen, dass sich die Massnahme 9: Befragung von Kindern und Erkennen von Traumata für Mitglieder Justizbehörden und Massnahme 17: Beratungsangebote für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern noch nicht in der Umsetzung befinden. Da sind andere Kantone schon deutlich weiter, beispielsweise gibt es im Kanton Zürich eine Präventionsstelle für Personen mit pädosexuellen Neigungen. Der Bundesrat empfahl bereits im Herbst 2020 den kantonalen Gesundheitsbehörden, spezialisierte Beratungs- und Behandlungsangebote aufzubauen, um Kinder besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Heute haben wir den 17. Februar 2025. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen muss jetzt priorisiert werden.

Das Fazit vom Abschnitt “Einführung Berner Modell” ist, dass das Kantonsspital insbesondere bei Kindern, Jugendlichen, trans Personen und männlichen Gewaltbetroffenen nicht gerüstet ist.

Nicht weil ich der Meinung bin, dass die Mitarbeitenden einen schlechten Job machen, nein. Sondern weil es einer Lotterie gleicht, wie sensibilisiert und geschult die gerade anwesenden Mitarbeitenden auf sexualisierte und/ oder häusliche Gewalt sind. Die Justizkommission schreibt: "Den grössten Schulungs- und Handlungsbedarf wird im Bereich der unentdeckten bzw. verschwiegenen sexualisierten Gewaltanwendung verortet.”

Im Jahr 2022 registrierte die Schaffhauser Polizei 368 Straftaten im häuslichen Bereich und man muss von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Mit diesem Hintergrund ist es verheerend, dass das Kantonsspital gerade dort grosse Lücken aufweist und somit die Dunkelziffer weiterhin als sehr hoch eingestuft werden muss, so lange das Kantonsspital hier wenig professionalisierte Kompetenzen aufweisen kann.

Dass nun ein Leitfaden, ein “how to”, erarbeitet wird, begrüsse ich. Es stellt sich die Frage, wann die Mitarbeitenden auf diesen Leitfaden zurückgreifen können und ob und wann dieser Leitfaden auch öffentlich gemacht wird. Einerseits weil es nun von öffentlichem Interesse ist und weil es denkbar ist, dass beispielsweise auch Hausärzt*innen aus der Region auf einen solchen Leitfaden zurückgreifen sollten. Ist die Regierung gewillt, das in Angriff zu nehmen?

Die Justizkomission hält weiter fest, dass die Informationen zum aktuellen Angebot des "Schaffhauser Modells" nicht genug bekannt sind. Es ist sinnvoll und notwendig, das Schaffhauser Modell jetzt an das Berner Modell anzugleichen und sich stellenweise am Kanton Zürich zu orientieren und dann eine umfassende Informationskampagne zu lancieren, um die Möglichkeiten für Gewaltbetroffene, aber auch für Gewaltausübende, bekannter zu machen.

Zum Schluss möchte ich sie alle, liebe Anwesende, lieber Kantonsrat, lieber Regierungsrat, dazu auffordern, den Schutz vor sexualisierter Gewalt politisch zu priorisieren und damit die Sicherheit von mehr als der Hälfte der Bevölkerung. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.