Schaffhausen würde zum Wohnort der Gerechtigkeit und Freiheit

14.03.2016

In Schaffhausen wohnt Jung und Alt, Arm und Reich. Die junge ­Familie lebt neben der Senioren- WG, und der asiatische Lebensmittelhändler bedient täglich Frau und Herr Schweizer. Eine moderne Stadt, auf die wir alle stolz sein können und stolz sein wollen. Ist dem einmal nicht mehr so, gibt es nur eine ­Lösung: wegziehen. Ins lebendige Nohl, über die Grenze nach Deutschland oder nach Trasadingen, vielleicht auch nach Beggingen oder in eine andere Gemeinde, die mit günstigen Mieten lockt. Doch die meisten wollen nicht. Wenn wir aus der Munotstadt wegziehen, dann dorthin, wo es Arbeitsplätze gibt. Aber dort, dort gibt es schon lange keine günstigen Wohnungen mehr.
Kapitalismus bietet alles, ausser ...
Während der Kapitalismus alles, Autos, Teigwaren, Zigaretten, im Überfluss bietet, fehlt vielerorts ein ganz grundlegendes Gut. Ein Gut, welches viel zu wichtig ist, um es ­allein privaten Investoren und Spekulanten zu überlassen. Es fehlt an Wohnraum – bezahlbarem Wohnraum. Dabei braucht eine moderne Stadt davon ganz dringend, denn nur so kann sie lebendig und attraktiv bleiben.
Warum aber lässt die Stadt zu, dass ganze Viertel an Luxuswohnungen gebaut werden, bis sich nur noch die Wohlhabenden das Wohnen in der Stadt leisten können? Wieso stört es niemanden, dass Wohnungen nach ­Renovationen dreimal so teuer vermietet werden können und den bisherigen Mieterinnen nur noch der Wegzug bleibt? Und wie inkonsequent muss die Politik eigentlich sein, ständig mehr Nachwuchs zu fordern, zeitgleich aber Familien mit kleinen Kindern aus der Stadt zu vertreiben, indem nur ausserhalb der Stadt grosse, bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen? All diese Probleme gäbe es nicht, in einer Stadt, welche eine ­aktive Rolle im Wohnungsmarkt spielt und bezahlbaren Wohnraum fördert.
... Glück und Zufriedenheit
Noch ist nichts verloren in Schaffhausen. Die Stadt ist attraktiv, und ­immer mehr Menschen möchten hier ­leben. Dies hat zur Folge, dass zurzeit lediglich 0,7 Prozent aller Wohnungen auf städtischem Gebiet leer stehen. Der Logik von Angebot und Nachfrage folgend ist der Druck auf die Mietpreise massiv gestiegen. So haben sich die Mietpreise in den letzten zehn Jahren in der Stadt Schaffhausen um fünfzig Prozent erhöht. Mittlerweile kostet eine Wohnung in der Munotstadt gleich viel wie eine Wohnung in der Stadt Basel. Die Gewinner dieser Entwicklung sind die Immobilieneigentümer, während sich immer mehr Junge, Pensionierte, Familien und Allein- erziehende das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können.
Die Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Stadt Schaffhausen ist ­bedrohlich, aber die Politik scheint es nichts anzugehen. Wohnen, denken wohl die bürgerlichen Politiker, sei ­Privatsache, und da will man sich lieber nicht einmischen. Aber das ist grundlegend falsch. Eine Wohnung ist keine herkömmliche Ware, wie dies etwa Zahnpasta ist. Nein, Wohnen gehört zu unserem Leben wie Essen. Wohnen ist Glück und Zufriedenheit.
Zu Glück und Zufriedenheit gehört aber auch das Umfeld. Mit bezahl­barem Wohnraum wird soziale Durchmischung ermöglicht, für Familien kann es endlich wieder attraktiv werden, mitten in der Stadt zu leben, und neue Wohnformen können ent- stehen. Natürlich haben private Investoren eine andere Meinung. Für sie sind Wohnungen oftmals ein reines Renditeobjekt, und vielen ist einer- lei, wie es sich darin wohnen lässt. Schade, könnten sie doch einen wichtigen Teil zu einer besseren Gesellschaft leisten. Das Gemeinwesen hingegen soll verpflichtet sein, auf Qualität zu setzen und dem Gemeinwohl Sorge zu tragen. Deshalb braucht es dringend staat­lichen bezahlbaren Wohnraum. Nur wer keine Renditen erwirtschaftet, bereichert sich nicht auf Kosten anderer. Dieser Gerechtigkeitsgedanke soll endlich auch wieder im Wohnungsmarkt herrschen. Denn davon werden wir alle profitieren. Aber wo bleibt das Geld, das an Mieten gespart werden kann? Es kommt der Stadt zugute, in der die Menschen leben. So wie es der Stadt zugutekommen wird, dass sie sich fürs Gemeinwohl sorgt und eine Gesellschaft ermöglicht, die sich nicht tagtäglich ums Wohnen sorgen muss.
Oder in Anlehnung an Friedrich Dürrenmatt: Die Gerechtigkeit würde nicht mehr in einer Etage wohnen, zu der die Menschen keinen Zugang ­haben. Schaffhausen würde zum Wohnort der Gerechtigkeit und Freiheit.
Diese Kolumne von Seraina Fürer ist am Samstag, dem 12. März 2016, in den Schaffhauser Nachrichten erschienen.